Mitten im Leben – mit Diabetes Typ 1
veröffentlicht: 20 November, 2020Eine Geschichte, die Mut macht.
Anne ist 19 Jahre alt und absolviert gerade ihr medizinisches Praktikum in der Diabetologie der Asklepios Kinderklinik in Sankt Augustin. An das Krankenhaus hat die gebürtige Bonnerin besondere Erinnerungen, denn im Alter von elf Jahren ist sie als Notfall dort eingeliefert worden. Die Diagnose: Diabetes mellitus Typ I. Uns hat sie ihre Geschichte erzählt: von den Symptomen, die sie lange gar nicht so ernst genommen hat, über die Herausforderungen im Umgang mit der chronischen Stoffwechselerkrankung bis hin zum heutigen Tag, an dem sie glücklich mitten im Leben steht und alles machen kann, was sie möchte.
Wie hat sich Deine Diabetes-Erkrankung bemerkbar gemacht?
Anne: „Ich war ständig müde, habe unglaublich viel getrunken und hatte zu gar nichts mehr Lust. Wenn meine Eltern und mein Bruder was mit mir unternehmen wollten, bin ich lieber im Bett geblieben. Das kannte ich gar nicht von mir. Bis dahin war ich sehr aktiv – Leichtathletik, Tennis, Fußball, je mehr, desto besser. Ab einem gewissen Zeitpunkt fehlte mir für alles, auch für die Schule, die Motivation und die Kraft. Außerdem verlor ich immer weiter an Gewicht. Irgendwann war das schon sehr auffällig, weil ich sowieso ein recht zierliches Mädchen war.“
Wie war der Weg zur Diagnose?
Anne: „Meine Mutter äußerte den Verdacht, dass ich Diabetes haben könnte. Sie wollte mit mir zum Arzt gehen. Ich fand das peinlich, weil ich dachte, ich wäre einfach nur müde, hätte doch nichts Ernstes. Plötzlich, an einem Abend im August 2012, war ich so schlapp und mir ging es so schlecht, dass meine Eltern mit mir in die Notfallambulanz der Asklepios Kinderklinik nach Sankt Augustin gefahren sind. Meine Blutzuckerwerte waren so hoch, dass sie gar nicht mehr messbar waren.“
Bitte erkläre uns, was das mit dem Blutzuckerspiegel auf sich hat…
Anne: „Bei Diabetes mellitus Typ I produziert der Körper kein Insulin mehr und der Blutzuckerspiegel steigt an. Insulin ist das Hormon, das den Stoffwechsel reguliert. Passiert das nicht mehr von alleine, muss Insulin gespritzt werden, zum Beispiel mit einem sogenannten Pen, oder über eine Insulinpumpe verabreicht werden.“
Wie haben Deine Familie und Du selbst die Diagnose aufgenommen?
Anne: „Für meine Eltern war das ein riesengroßer Schock. Mir war zu dem Zeitpunkt gar nicht klar, dass ich eine Krankheit habe, die nicht mehr weggeht, die mich mein ganzes Leben lang begleiten wird. Das habe ich erst Monate später realisiert.
Wie hast Du gelernt, mit Deiner Erkrankung umzugehen?
Anne: „Ich wurde in der Asklepios Kinderklinik erstmal stationär versorgt. Die ersten beiden Tage durfte ich nur Gemüse essen, daran kann ich mich noch gut erinnern. Danach war ich gemeinsam mit meinen Eltern in der Diabetes-Sprechstunde bei Alexandra Busch. Sie hat Hilfsmaßnahmen entwickelt, die speziell auf meine Bedürfnisse ausgerichtet waren, und aufgezeigt, wie sich meine chronische Erkrankung in den Alltag integrieren lässt. Gemeinsam mit Ihrer Kollegin Andrea Halber gibt sie auch Schulungen für kleine und große Patienten mit Diabetes.“
Was passiert in den Schulungen?
Anne: „Ich habe beispielsweise gelernt, wann ich am besten essen soll, dass es verschiedene Insuline gibt und wie die wirken. Das haben Alexandra und Andrea sehr anschaulich erklärt, zum Beispiel mit Hilfe von Diabetes-Brettspielen, Holzbaukästen und vielen anderen Materialien.“
Musst Du jeden Tag Insulin spritzen?
Anne: Ja, zu Beginn meiner Krankheit habe ich dafür einen sogenannten Pen benutzt. Der sieht so aus wie ein Füllfederhalter mit einer Nadelspitze drauf, die es in verschiedenen Längen gibt. Das hat gut funktioniert, ist wirklich nur ein kleiner Piekser. Jetzt habe ich eine Schlauchpumpe mit einem Katheter dran, den ich am Bein, Po oder Bauch befestige und alle zwei Tage wechsele. Per Knopfdruck wird das Insulin abgegeben. Für mich ist das die einfachste Lösung, da ich viel Sport treibe und über die Pumpe meinen Insulinbedarf besser regulieren kann.
Darfst Du alles essen?
Anne: „Prinzipiell schon, aber natürlich achte ich auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung: viel buntes Obst und Gemüse, am besten frische und saisonale Lebensmittel mit vielen Ballast- und Vitalstoffen. Die größte Herausforderung war anfangs jedoch nicht die Wahl der Lebensmittel an sich, sondern alles richtig zu berechnen und abzuwiegen. Alle Kohlenhydrate, wie Kartoffeln, Reis, Nudeln, Joghurt und Obstsäfte, treiben den Blutzuckerspiegel in die Höhe. Ich muss die richtige Dosis Insulin berechnen, die ihn konstant hält.“
Klingt ganz schön kompliziert…
Anne: „Das war damals eine echte Herausforderung. Besonders, wenn ich woanders zu Besuch war. Auch in der Schule war es schwierig. Erst messen und dann spritzen, wenn alle um mich herumstanden. Ich habe aber nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Diabetes habe. Das möchte ich anderen Betroffenen auch empfehlen. Ich habe so viel Verständnis und Unterstützung erfahren, von meinen Freunden, Klassenkameraden und Lehrern. Das hat den Umgang mit meiner Erkrankung unglaublich erleichtert.“
Wie geht es Dir heute?
Anne: „Super, ich führe ein ganz normales Leben und mache alles, was andere Jugendliche auch tun. Ich habe Abitur gemacht, sogar mit Sport als Leistungskurs, ich studiere Gesundheits- und Erziehungswissenschaften, absolviere nebenbei mein medizinisches Praktikum, wohne alleine, habe einen Führerschein, war längere Zeit im Ausland und bin 200 Kilometer auf dem Jakobsweg gewandert. Noch Fragen…?“
Inwieweit hilft Dir Dein Wissen über Diabetes bei Deinem Praktikum?
Anne: „Schon vorher habe ich in den Sommerferien beim Diabetes-Camp ausgeholfen. Dazu gehören auch Reiterferien auf einem Pferdehof, damit die Kinder und Jugendlichen mal Urlaub von ihrer Krankheit machen können. Ich kann mich sehr gut ihn sie hineinversetzen und ihnen Mut machen, dass sie mit Diabetes weitestgehend problemlos leben können. Ich möchte sie auch motivieren, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und auszutauschen – egal, ob in persönlichen Gesprächen, Telefonaten oder über soziale Medien. Wenn ich meine Krankheitsgeschichte teile, ist alles nur noch halb so schlimm, so empfinde ich es zumindest.“
Haben Sie noch Fragen an Anne? Dann schreiben Sie eine E-Mail an:
foerderverein@vfk-sanktaugustin.de
Der Verein zur Förderung der Kinderklinik Sankt Augustin sammelt Spenden für das „Diabetes-Camp 2021“. So können auch Kinder und Jugendliche teilnehmen, deren Eltern nicht so viel Geld haben. Bitte unterstützen Sie dieses tolle Projekt. Weitere Infos zu unserer Spendenaktion finden Sie hier auf unserer Homepage.
Danke für Ihr Engagement!