Kreativität stärkt Kinderherzen: Die neue Kunsttherapie

Der VFK e.V. konnte Ende 2018 mit Hilfe von Spenden eine neue Maßnahme mit der ausgebildeten, klinischen Kunsttherapeutin Isabel Borucki starten: Kunsttherapie soll 2019 zur schnelleren Genesung junger Patienten beitragen. Die Therapieform bietet kranken Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, belastende Erlebnisse rund um die Erkrankung durch kreatives Gestalten aufzuarbeiten. Dabei entspannt sich die Seele und sendet positive Signale an den Körper.

Farben, malen, formen, Geschichten hören: Kinder, Jugendliche und Erwachsene kommen gleichermaßen durch Kunsttherapie in einen Zustand der Entspannung. Für junge Patienten kann die Therapieform, insbesondere nach einer Operation, aber noch mehr tun: So lösen sich zum Beispiel beim Malen nicht nur Spannungen, sondern auch emotionale Blockaden auf. Das Feedback der Kinder, Jugendlichen und begleitenden Eltern stützt Isabel Boruckis eigene Beobachtungen: Beim Gestalten kann sich jeder entlasten.

Stärkt den Geist, gibt Selbstheilungsimpulse

Verletzte Emotionen kann man nicht wie ein gebrochenes Bein behandeln: Vielen Menschen fällt es nicht so leicht, Gefühle auszudrücken. Deswegen sind therapeutische Maßnahmen, wie die Kunsttherapie, sinnvoll: Isabel Boruckis Anleitung inspiriert und ermutigt sogar die kleinsten Patienten dazu, ihren „inneren Bildern” Ausdruck zu verleihen. Dabei achtet die Kunsttherapeutin darauf, dass am Ende immer tröstliche und stabilisierende Bilder entstehen.

Lesen Sie, was Isabel Borucki mit „ihren” Kindern erlebt:

„Letzten Freitag kam die siebenjährige Polina aus St. Petersburg in die Kunsttherapie. Sie war eine Woche zuvor nach ihrer OP zum ersten Mal bei mir. Sie wurde von ihrer „Babuschka” begleitet. Beide sprechen kein Deutsch. Polina lehnte sich beim ersten Termin nach der OP noch eng an ihre Großmutter an. In dieser schützenden, sehr fürsorglichen Begleitung malte sie fast traumwandlerisch sicher: Akkurat und behutsam brachte sie eine schön geschwungene und formsichere Eule zu Papier, die mit Pastellkreiden ausgemalt und in einen fröhlichen Hintergrund einbettet wurde. In der darauffolgenden Woche wirkte das Mädchen dagegen in sich zusammengesackt und verunsichert. Die Großmutter hielt sich diesmal im Hintergrund und Polina radierte sicherlich zehnmal einen Tannenbaum aus, den sie eigentlich zeichnen wollte. Sie verlangte mehrmals nach neuem Malpapier, um von vorn zu beginnen. Damit zeigte sie mit Verspätung eine typische postoperative Reaktion, nämlich, wenn sich ein Mensch nach einem solchen Eingriff weniger zutraut, leichter mit sich unzufrieden ist oder irritiert reagiert. Sicherlich nahm Polina auch den anwesenden, gleichaltrigen Mustafa wahr, der an der Seite seines Vaters bedenkenlos in einen Farbtopf griff. Er bearbeitete sein Bild in fast nur einem Grundton, völlig frei in fließenden, ihm offensichtlich wohltuenden Gesten. Er konnte seinem Gefühl freien Lauf lassen und produzierte aus dieser Stimmung heraus ein Aquarellbild nach dem anderen.

Nachdem Mustafa gegangen war, malte Polina noch lange weiter: in ihrer langsamen und behutsamen Art insgesamt bestimmt eine Stunde lang. Dabei konnte ich den Wandel ihrer Stimmung an ihren Bildern ablesen. Neben dem Tannenbaum zeichnete sie eine schön bewegte, anmutige Szene mit mehreren Rehen in verschiedenen Positionen auf dasselbe Bild. Dann radierte sie alles klaglos, aber sichtbar frustriert wieder aus, um ein Haus darüber zu zeichnen. Das Haus malte sie schließlich mit Pastellkreiden aus, und sie war auch endlich mit ihrem Tannenbaum zufrieden. Zunehmend schneller, wurde sie schließlich freier und mutiger, als sei ein Knoten geplatzt. Die Freude war ihr anzusehen. Mit einem aufgeregten, stillen Lächeln verlangte sie ebenfalls nach den flüssigen Aquarellfarben, die Mustafa benutzt und die ich gerade gut weggepackt hatte.

Ich gab sie ihr und Polina genoss es, nun unter meinen erstaunten Blicken, Sterne in immer bunteren Tönen an den Himmel ihres Bildes zu setzen. Schließlich wurden aus den neuen Sternen in immer schnellerer Folge einfach farbige Kleckse oder Spiralen. Es ist ganz typisch für bestimmte Phasen in Kinderzeichnungen, dass der Bildraum, wie ein „Wimmelbild”, mit Vögeln, Punkten, Regen, Schnee oder Ähnlichem ausgefüllt wird. So verteilte Polina immer befreiter und kindlicher bunte Punkte über das gesamte Bild.

Ihr Enthusiasmus hielt an. Sie verlangte nach einem weiteren großen Blatt, das sie erst nur in blauer Aquarellfarbe gestaltete. Da sie inzwischen schon eine Stunde lang gemalt hatte, bat ich ihre Großmutter, sich zu ihr zu setzen. Als ich von einem Patientenbesuch zurückkam, hatte Polina einen großzügigen, bunten Kosmos mit Planeten – so erklärte es mir ihre Großmutter – in allen Farben auf die blaue Himmelsfläche gesetzt.

Das Beispiel von Polina zeigt, wie sich das kreative Gestalten gerade bei jungen Patienten auswirken kann: Fast ohne Worte hat ihr die Kunsttherapie den Raum und die Inspiration gegeben, sich zu entlasten. Mit ihrem letzten ausdrucksstarken Aquarellbild hat sie sich von ihrer anfänglichen Unzufriedenheit und Unsicherheit regelrecht „freigemalt”. Ich habe immer noch ihren anfänglichen, meist ernsten Blick vor Augen. Den vergleiche ich mit der Polina, die beim Malen einen Prozess durchlaufen hat, in dem sich Unzufriedenheit und Schmerz spiegeln können. Ich erlebe mit ihr, wie sie – auch durch das Beispiel der anderen Malenden, durch die Ermutigung ihrer Bindungsperson und nicht zuletzt durch den Raum, den ich ihr als Begleiterin gebe – sich mit jedem Pinselstrich entspannt und schließlich voller Lebensfreude in die Farben greift.

Es ist sehr berührend, solche Prozesse zu erleben. Am Ende dieser kurzen Zeit sehe ich Kinder, die mit ihrer eigenen „Lebensmelodie” und mit dem Haus, in dem diese erklingt – ihrem Körper – in Berührung gekommen sind. Es ist ein kleines Bausteinchen mehr auf dem Weg, langsam wieder im eigenen Körper zu Hause zu sein. Das ist zugleich ein enormer Schritt hin zur Genesung und zur Integration des Erlebten in die eigene Biografie. Wie schön ist es, dass der VFK und die Spender das ermöglichen.”