„Lass uns drüber reden!“
veröffentlicht: 13 April, 2021Über die Erkrankung eines Geschwisterkindes sollten Eltern offen sprechen.
Wenn ein Kind schwer oder chronisch erkrankt oder eine Behinderung hat, wirkt sich das auf das komplette Familienleben aus. Sämtliche Abläufe und Beziehungsstrukturen werden auf den Kopf gestellt, nichts ist mehr so wie vorher. Die Aufmerksamkeit der Eltern, Verwandten und Freunde richtet sich in erster Linie auf das kranke Kind. „Die Sorgen und Nöte der gesunden Geschwisterkinder treten zwangsläufig in den Hintergrund. Wie sie sich in der neuen Situation zurechtfinden, dafür ist erstmal wenig Zeit“, erklärt Anneke Burger, Psychologin und systemische Therapeutin bei der Elterninitiative krebskranker Kinder St. Augustin (EKKK) e.V., ein Förderverein der Asklepios Kinderklinik Sankt Augustin.
Auch wenn die Eltern versuchen, sich weiterhin genauso um die gesunden Geschwisterkinder zu kümmern, gelingt das nur bedingt. Besonders in der Intensivtherapiezeit, wenn zum Beispiel Mutter oder Vater wochenlang ihr krebskrankes Kind stationär begleiten, fehlen sie Zuhause als Bezugspersonen. Möglicherweise fühlen sich die gesunden Kinder vernachlässigt. Gleichzeitig haben sie Angst um ihren kranken Bruder oder ihre kranke Schwester. Häufig ziehen sie sich zurück, wollen niemandem zur Last fallen, verhalten sich so unauffällig wie möglich.
Manche Kinder reagieren aber auch wütend oder aggressiv, weil das ihre Art ist, mit ihrer Unsicherheit umzugehen. „Ich habe schon erlebt, dass ein gesundes Geschwisterkind seinen Eltern mitteilte, es hätte auch einen Tumor“, so Anneke Burger. Die Eltern entwickeln oft Schuldgefühle, weil sie nicht allen Anforderungen gerecht werden können. Anneke Burger: „Es ist anfangs viel organisatorisches Chaos, da die Dringlichkeit naturgemäß auf dem kranken Kind liegt. Mit diesem Gefühl haben die Eltern sehr zu kämpfen. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen den Bedürfnissen des kranken und des gesunden Kindes.“ Die Psychologin vermittelt ihnen, dass sie in dieser Ausnahmesituation nicht für alles und jeden da sein können.
Sie empfiehlt, stets offen und ehrlich über die Erkrankung des Geschwisterkindes zu reden und Informationen dazu altersgerecht aufzubereiten. „Besonders kleine Kinder entwickeln ihre eigenen Fantasien. Sie glauben zum Beispiel, dass ihr Bruder krank ist, weil sie ihn geschubst oder sich mit ihm gestritten haben. Diese Gedanken muss man ihnen nehmen und signalisieren, dass man Verständnis für ihr Verhalten hat“, berichtet Anneke Burger. Durch die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie sind die Besuchsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Daher können die gesunden Kinder sich nicht so genau vorstellen, wie es dem kranken Geschwisterchen geht und wie der Krankenhausalltag aussieht. Anneke Burger: „Wir versuchen, ihnen das über Fotos, Filme oder Video-Telefonie etwas näherzubringen. Aber natürlich ist das nicht dasselbe. Vor Corona haben manche Familien auf der Station zum Beispiel zusammen Abendbrot gegessen.“
Sowohl die Eltern als auch das Umfeld sollten darauf achten, dass die gesunden Kinder weiterhin ins Familienleben eingebunden werden und ausreichend Zuneigung bekommen. Anneke Burger regt dazu an, Zeit mit ihnen alleine zu verbringen: „Hier geht es nicht um die Quantität, sondern um die Qualität der gemeinsamen Zeit. Lieber 15 Minuten etwas Besonderes mit ihnen unternehmen, als ihre Betreuung auf notwendige Alltagsaktivitäten zu reduzieren, sie zum Beispiel nur zum Kindergarten oder zur Schule zu bringen und abzuholen.“
Es gibt kein Patentrezept, wenn ein Kind schwer erkrankt, nur viele kleine Empfehlungen. Jede Familie ist anders und muss sich auf ihre Weise und im Rahmen ihrer Möglichkeiten arrangieren, um mit so einer Ausnahmesituation umgehen zu können. „Es ist schön, zu sehen, dass sich für die Betreuung der gesunden Geschwister gut funktionierende Netzwerke mit Verwandten, Freunden und Nachbarn bilden und sich die zeitweise fehlende Fürsorge der Eltern dadurch etwas auffangen lässt“, so Anneke Burger.
Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie gerne eine E-Mail an:
Sabine Wondzinski-Moser: foerderverein@vfk-sanktaugustin.de oder
Manuela Melz: info@ekkk.de
Weiterführende Informationen und Praxisratgeber zum Umgang mit Geschwistern schwer oder chronisch kranker Kinder sowie von Kindern mit einer Behinderung finden Sie zum Beispiel auf folgenden Internetseiten: